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Schwerstarbeit für Nothelfer | Donnerstag, 20.04.2006

Manche übergewichtige Patienten können nur mit einem Kran gerettet werden Ohnmacht, Zuckerschock oder Herzinfarkt – für die Retter der Feuerwehr ist in solchen Fällen Eile geboten. Doch immer häufiger gibt es dicke Probleme, weil die Patienten Übergewicht haben.


VON DPA-MITARBEITER SEBASTIAN RAABE

Hamburg. Wie bekommt man einen 300 Kilogramm schweren Mann aus seiner Wohnung, auf eine Trage oder in den Rettungswagen? „Vor wenigen Jahren hatten wir so einen Fall einmal im Jahr“, erzählt Peter Braun, Feuerwehrsprecher in Hamburg. „Mittlerweile rücken wir im Schnitt einmal im Monat zu solchen Einsätzen aus.“ Und meist wissen die Sanitäter nicht, welch schwere Aufgabe sie zu bewältigen haben.

Schnell werden so aus den Minuten, die eine Rettungsaktion dauern sollte, Stunden. „Wir brauchen meist fünf Mal so lang“, erklärt Braun. „Das Problem ist ja nicht nur das extreme Gewicht, sondern vor allem das große Volumen.“ Die Tragen sind meist nur für 160 Kilogramm zugelassen, die Treppenhäuser sind zu schmal, die Rettungswagen zu klein. Bei solchen Einsätzen bleibt nur der Einsatz von schwerem Gerät. Und das steht nicht sofort bereit: „Oft merken die Kollegen erst vor Ort, mit was für einem Fall sie es zu tun haben. Erst dann können sie alles anfordern, was nötig ist“, sagt Braun.

In Hamburg machen sich die Helfer seit längerem Gedanken darüber, was alles nötig ist, um die „überschweren Personen“ zu retten. Elegant sei die gefundene Lösung zwar nicht, aber sie funktioniert, erklärt Braun. Im Fall der Fälle rücken in der Hansestadt ein schwerer Kran mit Stahlwanne, ein Großraumrettungswagen und ein Lastwagen mit einem Krankenhausbett aus. „Wir fahren die Konstruktion vor ein Fenster, und dann wird der Patient über die Fensterbank auf das Bett gehievt“.

Manchmal hilft nur Gewalt

Doch wenn der Kran nicht vor dem Haus parken kann, oder die Fenster zu klein sind, hilft nur noch Gewalt: „Auf einer Rettungsplane müssen wir den Patienten dann durch die Tür ziehen“, sagt Braun. Für den Patienten eine äußerst schmerzhafte Erfahrung, für die Helfer Schwerstarbeit. Erst Mitte März mussten Feuerwehrleute in Hannover mit einem 60-Tonnen-Kran einen rund 300 Kilo schweren Mann aus seiner Wohnung in der vierten Etage bergen. Der Patient hatte einen Schwächeanfall und war gestürzt. Der Versuch, den sechs Zentner schweren Mann über eine Drehleiter zu retten, scheiterte.

Doch nicht nur die technischen Schwierigkeiten machen den Feuerwehrleuten Sorgen. „Das ist ein großes ethisches Problem“, erzählt Silvia Darmstädter vom Deutschen Feuerwehrverband in Berlin. Auch hier beobachtet man mit Sorge die wachsende Zahl der Spezial-Einsätze. „Wir haben keine genaue Statistik, doch es scheint vor allem ein Problem in den großen Städten zu sein“, sagt Darmstädter.

In Internet-Foren wie dem der Berliner Feuerwehr diskutieren Helfer über ihre Erfahrungen und tauschen Tipps aus. In Schleswig-Holstein wurde ein übergewichtiger Patient mehrfach mit einem Pritschenwagen transportiert.

Auch der Kostenaufwand ist enorm. Denn der Mehraufwand wird von den Krankenkassen nicht gezahlt. Und die Einsätze sind teuer, der Personalaufwand viel größer als im Normalfall. Beim Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) führt man allerdings keine Statistik über die steigenden Belastungen. Alle Einsätze werden pauschal abgerechnet. Die Rettungsdienstträger vor Ort schließen Verträge mit den Kassen, sagt ein Sprecher. Auf den Mehrkosten für Großeinsätze bleiben die Feuerwehren meist sitzen.

Peter Braun rechnet für die Zukunft mit weiter steigenden Einsatzzahlen. „Die Leute werden ja immer dicker“, sagt der Feuerwehrmann. Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) scheinen die Befürchtungen zu bestätigen. Schon jetzt sind in Europa zwischen 25 und 75 Prozent der Einwohner übergewichtig – fast 400 Millionen Menschen. Die Tendenz ist steigend.

Quelle: Saarbrücker Zeitung


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